A page from "Othmar Schoeck, Post nach Brunnen. Briefe an die Familie 1908-1922"

An Paul Schoeck in Florenz, der seinem Bruder eine Broncelampe zu Weihnachten geschickt hatte:

Zürich, 13. Jänner 1909

Lieber Paul!
Nimm es mir nicht übel, wenn ich Dir erst jetzt für Dein prächtiges Präsent von Herzen danke. Dasselbe gereicht meinem Zimmer zu hoher Zierde. Ich hatte bereits kräftig zu wehren, dass meine gute Wirtin nicht mit Putzpulver und Putzlumpen dahinter ging! Sie wollte es nicht begreifen, dass das Ding so viel schöner sei...
Was treibst Du immer? Bist wohl immer im Schwung? Ich meine, Deine Seele wird wohl jetzt einem ruhig bewegten Wasser gleichen, in dessen Wellenspiel sich die Sonne Italiens (auch wenn sie nicht scheint) tausendfältig widerspiegelt. Bei mir will sich das aufgewühlte Meer nicht legen. Es ist zum Teufel holen. Heute kommt Papa und Mama hierher. Sie reisen dann von hier aus in den Süden.

[Noten]
[Die Noten entsprechen dem Anfang der "Peregrina II" nach Mörike.]

Derlei Sachen gehen mir im Kopf herum.
Wir haben hier Tauwetter. Es ist draussen prachtvolles Pflütsch. Rüeger* ist auch entzückt von der Lampe. Er betrachtet sie jedesmal mit geradezu heiliger Ehrfurcht. Ich habe eben einen prachtvollen schwarzen Kater (einen richtigen lebigen nb!) auf Besuch. Er ist mindestens 4 - 5 mal grösser als andere Kater und grunzt bei einem Lockruf schon aus der Ferne vor Vergnügen. Er ist ein wahrer Tiger und soll 20 Jahre zählen. Nettes Alter für einen Kater. Er sieht auch sehr verwittert aus. Vielleicht hat er einige der Schrammen von verschiedenen Söhnen oder Töchtern seiner eigenen Nachkommenschaft erhalten. Er kann schnurren, dass es den Stuhl fast um schlägt und die Saiten des Flügels gleich einer Aeolsharfe singen. Hast Du den Perseus des Cellini auch schon des längern betrachtet? Wenn Du zufällig eine Karte mit seinem Bild findest, machst Du mir grosse Freude damit. Ich hatte meinen 2ten Satz zur Violinsonate fertig, und gestern habe ich ihn in einem Wutanfall zerrissen. Es schmerzt etwas, aber in Gottes Namen. Er war mir zu "schön". Du verstehst mich. Malst Du eigentlich auch? Ich meine nicht architektonisch. Wenn Du irgend einen derartigen "Abfall" hast: Er wird bei mir in Ehren gehalten und an einem schönen Plätzchen in meinem Zimmer aufgenagelt.
Leb wohl und benütz einen toten Zeitpunkt, um mich mit etwas Schriftlichem zu erfreuen.

Dein Othmar.

*Armin Rüeger (mit den genau gleichen Lebensdaten wie Othmar Schoeck: 1886-1957), künftiger Apotheker in Bischofszell, war seit der Kantonsschulzeit mit Schoeck befreundet und hat ihm für "Don Ranudo", "Venus" und "Massimilla Doni" die Libretti geschrieben.

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